ChatGPT und andere künstliche Intelligenzen werden heiß diskutiert. Viele Berufe fürchten um ihre Existenz, vor allem diejenigen, die kreativ und/ oder mit Sprache arbeiten. Ich habe jedoch 7 Gründe gefunden, warum mir das als freie Trauerrednerin keine Sorgen bereitet.
Künstliche Intelligenz ist faszinierend
Mitte September 2023 ging ein Video viral, in dem ein Moderator seinen Beitrag mit der KI Gen Labs in Echtzeit in eine ihm völlig unbekannte Sprache übersetzen ließ – passende Lippenbewegungen inklusive. Solche Tools sind aktuell nicht für die breite Masse verfügbar und laut Heise.de halten große Unternehmen wie Google und Microsoft ihre diesbezüglichen Entwicklungen noch zurück. Doch das aufsehenderregende Experiment hat gezeigt, wohin sich die KI entwickelt. Falls Ihr mehr wissen wollt: Der Podcast “KI verstehen” vom Deutschlandfunk hat das Übersetzungsvideo sehr übersichtlich und kritisch aufbereitet.
ChatGPT sorgt für Wirbel
Natürlich ist die Unsicherheit auch bei uns Redner*innen angekommen. Jemand hörte schon “Mit ChatGPT kann ich die Trauerrede für Omi schreiben lassen und Geld sparen”, wohingegen so manche Rednerin den Angehörigen versichern muss “Natürlich verwende ich kein ChatGPT für meine Trauerreden!” Ihr ahnt schon, bei diesem Thema kann es schnell emotional werden.
Ich möchte in diesem Artikel ein wenig differenzierter auf das Thema blicken und Euch 7 Gründe nennen, warum mir die KI für meine Arbeit als Trauerrednerin keine Angst macht.
Kleiner Exkurs: Wie funktioniert ChatGPT?
ChatGPT ist ein Tool, mit dem man Texte und Übersichten erzeugen lassen kann (und es kommen immer mehr Funktionen hinzu). Nach der Registrierung bei OpenAI öffnet sich ein leerer Chat-Verlauf, in dem man die Unterhaltung mit der KI beginnt. Man stellt dem Programm Fragen oder eine konkrete Aufgabe zu einem bestimmten Thema. Dann beginnt die KI zu rödeln und man sieht in Echtzeit, wie das Ergebnis entsteht. Das fand ich vor allem beim ersten Ausprobieren schon faszinierend.
Ist man mit dem Ergebnis nicht zufrieden, kann man – wie in einer Unterhaltung mit einem echten Menschen auch – eine Rückmeldung geben, was schief lief oder wo man sich konkretere Informationen wünscht. Dann überarbeitet die KI das Ergebnis. Vor allem die Ausdrucksfähigkeit finde ich persönlich beeindruckend. Es gibt praktisch keine grammatischen oder orthografischen Fehler und viele Formulierungen sind wirklich toll.
3 Dinge, die man über ChatGPT wissen sollte
ChatGPT kann am besten über Themen schreiben, zu denen es im Netz schon Material gibt
Je mehr man im Netz zu einem Thema findet, desto eher wird auch ChatGPT daraus einen brauchbaren Text generieren können. Befragt man ChatGPT zu unverfänglichen Themen, kann man auf ein solides Ergebnis hoffen. Ich habe beispielsweise mal einen aktuellen Wetterbericht als Abenteuergeschichte erzählen lassen, das war recht amüsant. Aber der Auftrag, eine Trauerrede für Dumbledore zu schreiben, brachte eher einen hölzernen Text hervor, der von vielen Aufzählungen geprägt war. Hier stellt sich die Frage für unsere besondere Textform der Trauerrede: Gibt es im Netz genügend qualitatives Material, aus dem eine KI lernen könnte?
ChatGPT braucht konkrete Anweisungen, was es tun soll
Und daran scheitern viele. Denn die Anweisung oder Frage muss präzise formuliert sein und gegebenenfalls angepasst werden, wenn die KI nicht das passende Ergebnis liefert. Es gibt zahlreiche Youtube-Videos und Internetseiten, die Nutzer*innen einen produktiven Umgang mit Tools wie ChatGPT beibringen wollen. Während überall prophezeit wird, welche Jobs in naher Zukunft durch KI ersetzt werden, entstehen schon neue Arbeitsplätze, für die explizit fundierte ChatGPT-Kenntnisse gefordert werden.
ChatGPT ist erfindungsreich
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die KI ist oft gut darin, wohlklingende Sätze zu formulieren, doch mit Fakten und Quellen nimmt sie es nicht immer so genau. Inzwischen gibt es dokumentierte Fälle, in denen eine KI manche Argumente und Quellen schlichtweg erfunden hatte. Man muss sich also mit einem Sachverhalt auskennen, um die Qualität eines KI-Textes zu beurteilen und Fehler zu entdecken.
7 Gründe, warum ChatGPT mir als Trauerrednerin keine Angst macht
Natürlich habe auch ich mir Gedanken gemacht, ob mein Beruf bald überflüssig sein wird. Auf Basis meines aktuellen Wissens über KI mache ich mir jedoch keine Sorgen. Ich möchte Euch erklären, warum.
1. ChatGPT bzw. das Internet weiß nichts über den verstorbenen Menschen
Okay, ein paar Lebensdaten oder Social Media-Posts könnten es schon sein, vor allem bei prominenteren Personen. Aber ist es das, was einen Menschen ausmacht? Die KI weiß nicht, welche Sprüche der verstorbene Mensch immer auf den Lippen hatte. Sie kennt nicht die vielen Anekdoten aus dem Sportverein. ChatGPT weiß nicht, welches Gericht der verstorbene Mensch jedes Weihnachten für die Familie gekocht hat und welche Geheimzutat dabei nicht fehlen durfte.
All das sind Dinge, die ich in meinen Reden aufgreifen kann und die den Trauergästen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Wollte man eine KI dazu bringen, diese Dinge in eine Trauerrede einzubauen, müsste man diese Informationen zunächst bereitstellen (Problem Datenschutz!) oder den künstlich erzeugten Text noch einmal händisch anpassen. In dieser Zeit hätte man eine Rede auch selbst ausgearbeitet (sofern man gut mit Worten ist).
2. ChatGPT hat kein Taktgefühl
Im Vorgespräch erzählen mir die Angehörigen oft sehr persönliche Dinge, damit ich einen Menschen oder eine Familiensituation besser verstehen kann. Jedoch verwende ich diese Informationen nicht in der Rede. Denn der Tag der Trauerfeier ist nicht der Tag der Abrechnung. Wir Trauerredner*innen fokussieren uns auf die schönen Dinge des Lebens und nehmen dabei eine wertschätzende Perspektive auf den verstorbenen Menschen ein. Die KI würde einfach alle Informationen verwenden, die es finden kann – egal, ob sie damit eine Zuhörerin verletzt oder gar ein Familiengeheimnis enthüllt.
3. ChatGPT ist auch nicht empathisch oder spendet Trost
Meine Aufgabe als Rednerin ist nicht nur, eine schöne Rede zu verfassen. Ich bin auch da, um zuzuhören. Die Angehörigen müssen über das Erlebte sprechen und um den Verlust weinen dürfen. Sie wollen gehört und verstanden werden. Sie möchten ihre Wünsche mitteilen und die Trauerfeier mitgestalten können. Und manchmal braucht es einen bestärkenden Händedruck oder eine Umarmung.
4. Die KI reproduziert im schlimmsten Fall Klischees und Vorurteile
Mir ist wichtig, einen Menschen möglichst frei von Klischees zu beschreiben. Bei ChatGPT kann es jedoch schnell hölzern und oberflächlich werden, vor allem, wenn es um kulturell oder geschlechterspezifisch sensible Themen geht. Darauf achte ich. Bei mir steht der individuelle Mensch mit all seinen Facetten, aber auch Verletzlichkeiten im Mittelpunkt.
5. Die KI ist nicht so kreativ wie ich
In meinen Reden nutze ich gerne Bilder und Metaphern, um das Leben eines Menschen zu beschreiben. So habe ich beispielsweise schon von einem Tante Emma-Laden, einer persönlichen Nordseeinsel oder einem Lebens-Wanderweg erzählt. Inhalte mit doppeltem Boden sind für KI jedoch eine der schwersten Herausforderungen, vor allem in Übersetzungen.
Darüber hinaus sehe ich eine Trauerfeier immer als Gesamtkunstwerk, bei dem alle Details stimmen sollen. Diese Kreativität kann KI nicht leisten, weil es eine höchst individuelle Angelegenheit ist.
6. Ich kann schön reden, auch vor vielen Menschen
Als professionelle Rednerin bin ich mir meiner Stimme und Ausdrucksweise bewusst. Ich kann all mein Gefühl hineinlegen, Dinge mit einem ironischen Unterton erzählen oder mit den Angehörigen lachen. Ich passe meine Wortwahl an die Angehörigen und den verstorbenen Menschen an. Ich kann spontan etwas weglassen oder hinzufügen, wenn es die Situation erfordert. Und ich kann für Angehörige oder Freund*innen einspringen, wenn ihnen die Stimme versagt.
7. Die KI unterstützt Euch nicht in der Planung der Trauerfeier
Nach dem Tod eines Menschen muss unheimlich viel organisiert werden. Manchmal verändern sich dabei Gegebenheiten oder Wünsche für die Trauerfeier. Onkel Otto möchte doch noch etwas beitragen? Kein Problem, ich bin da und kann flexibel reagieren – ein Anruf genügt. Wie ich Euch sonst noch in dieser Zeit unterstütze, kannst Du in meinem Blogartikel “Ein Blick Hinter die Kulissen” nachlesen.
Also Hand auf’s Herz: Nutze ich gar keine KI für meine Trauerreden?
Doch, und zwar als Inspiration.
Wie nun klar geworden ist, könnte keine KI eine Trauerrede gestalten, die meinen Ansprüchen genügt. Und die Trauerrede ist auch nur ein Teil der Abschiedszeremonie, in die ich viel Zeit und Herzblut stecke. Jedoch nutze ich ChatGPT ab und zu, um mir Inspiration für Formulierungen oder Beschreibungen zu holen. Denn manchmal brauchen auch eloquente Redner*innen ein bisschen Unterstützung. Trotzdem bleibt die Rede mein Werk, denn niemals würde ich Vorschläge von ChatGPT einfach ungeprüft in eine Rede hineinkopieren.
Und ich würde mich nie auf generierte Texte verlassen, deren Inhalt ich nicht beurteilen kann. Würde ich ChatGPT zum Beispiel den Auftrag geben, ein spannendes Tennis-Match zu beschreiben, könnte ich der Sache nicht vertrauen. Denn ich weiß so gut wie nichts über Tennis. Es wäre also notwendig, den Text nochmal einer Person zu zeigen, die sich auskennt und mich vor groben Fehlern bewahrt. Zeit oder Aufwand hätte ich dadurch sicherlich nicht gespart. Übrigens tausche ich mich zu fast jeder Rede mit einer anderen Trauerrednerin aus, die ähnlich tickt wie ich. Zwei echte Gehirne denken oft einfach kreativer. Unser beider Reden werden durch das gegenseitige Feedback besser.
Mein Fazit
Ich sehe das alles nicht dogmatisch, sondern möchte zeitgemäße Technik einsetzen, wo sie mich in meiner Arbeit unterstützt: So nutze ich mein Tablet zum Mitschreiben beim Vorgespräch und mein Smartphone mit einer Bluetooth-Box zum Abspielen von Musik in der Trauerhalle.
Künstliche Intelligenz ist eine spannende Sache, die definitiv noch viel verändern wird in unserer Welt. In Bezug auf meinen Beruf macht mir das keine Angst. Wer seiner Oma einen künstlich generierten Text zum Abschied schenken will, um Geld zu sparen, soll das tun. Wer das Gefühl hat, mit ChatGPT gegen den persönlichen Ehrenkodex als Redner*in zu verstoßen, dem wird niemand etwas vorwerfen.
Für mich ist ChatGPT ein faszinierendes Tool, das ich punktuell und mit Bedacht einsetzen kann. Meine hohen Ansprüche an meine Arbeit werden davon nicht untergraben. Denn in meinem Selbstverständnis als freie Trauerrednerin geht es um so viel mehr als nur um “ein paar Worte”. Wer mich schon beauftragt oder gehört hat, weiß meine herzerfüllte, kreative Arbeit zu schätzen.
Interessanter Text! Besonders schön finde ich, dass du die Trauerfeier als “Gesamtkunstwerk” beschreibst. Das sehe ich auch so, denn ohne dein Herz und dein Mitgefühl kann die schönste ChatGPT-Rede den Angehörigen niemals das geben, was sie wirklich brauchen: Trost und Kraft.